Das ewige Ballett der Spitzenköche
Das ewige Ballett der Spitzenköche: Wie der Regisseur Frederick Wiseman mit 94 Jahren tief in die Haute Cuisine eintaucht
Der amerikanische Dokumentarfilmer ist genau gleich alt wie das Familienunternehmen Troisgros, eine Ikone der französischen Kochkunst. Nun widmet er diesem einen vierstündigen Film.
Die besten Küchen dieser Welt? Viele verbinden sie mit rauchenden Köpfen und Töpfen, mit Rockstars am Herd unter Hochspannung, die zwischendurch ein paar geniale Rezepte aus dem Ärmel schütteln. Solche Bilder werden in Spielfilmen und Fernsehserien gezeichnet.
Nun aber kommt «Menus Plaisirs – Les Troisgros» in die Kinos – und drosselt den Puls über vier Stunden hinweg. Frederick Wiseman, 1930 in Boston geboren und genau gleich alt wie der Familienbetrieb, dessen Alltag er einfängt. Seit 56 Jahren oder vier Generationen hält diese Ikone der Haute Cuisine im Herzen Frankreichs durchgehend drei Michelin-Sterne. Was ist der Kern dieser sagenhaften Konstanz auf Topniveau?
Klarheit auf Teller und Leinwand
Der amerikanische Dokumentarfilmer Wiseman ist berühmt geworden, indem er prägende Institutionen im Wechsel- und Spannungsverhältnis zu den darin wirkenden Personen porträtiert: das Museum, den Zoo, das Ballett, die Bibliothek. Er pflegt wochenlang in das Umfeld einzutauchen – in diesem Fall waren es gar drei Monate.
Die Familie Troisgros steht für die Klarheit ihrer Gerichte, für Reduktion und Präzision. Der erklärte Feinschmecker Wiseman hat als Cineast ähnliche Prinzipien, pflegt ganz auf Musik, Off-Kommentare und Interviews zu verzichten. Die Bilder und Originaltöne sollen für sich sprechen. Aber natürlich drückt der Filmemacher den Eindrücken seinen Stempel auf, nur schon mit dem Schnitt, den er selbst vorgenommen hat.
Den kontemplativen Grundton setzt schon der Einstieg: Die Brüder César und Léo Troisgros kaufen auf dem Bauernmarkt ein, ihr Blick schweift über Kohlrabi und Randen. Und dieses Stillleben ist nicht die Ruhe vor dem Sturm. Es geht so unaufgeregt weiter, auch im «Maison Troisgros», im ländlichen Ouches. Dort hat die Familie, die nebst drei Restaurants in der Umgebung auch Ableger in Tokyo und Rio de Janeiro führt, vor sieben Jahren einen Neustart gewagt.
Im Mittelpunkt des Films steht der 65-jährige Michel Troisgros, der die Leitung des Sternelokals «Le Bois Sans Feuilles» nach und nach an seinen Sohn César abgibt, während dessen Bruder Léo einen der anderen Betriebe leitet. So erscheint hier die Kochkunst als Familienerbstück und Kulturgut, das Stück für Stück weitergegeben und sanft erneuert wird. Trends und Moden sind seit der Gründung am Haus vorbeigezogen und wieder verschwunden. Die vorletzte Generation leistete noch Pionierarbeit in der Nouvelle Cuisine, nun führt die vierte das Erbe fort.
Michel Troisgros machte in seinen Lehr- und Wanderjahren einst beim Schweizer Jahrhundertkoch Frédy Girardet in Crissier halt und hat inzwischen selbst Köche aus aller Welt inspiriert. Zu ihnen zählt Peter Knogl, im «Cheval Blanc» im Basler Hotel «Trois Rois» selbst zu einem der höchstdekorierten Köche Europas aufgestiegen: Er absolvierte 1999 ein einmonatiges Praktikum bei ihm, ohne Lohn und Unterkunft, wie er der NZZ erzählt. Noch heute schwärmt Knogl von den eingespielten Abläufen in der perfekt organisierten «Troisgros»-Küche. Und sein Weg zum «Saucenkönig», als der er heute gilt, wurde dort vorgezeichnet: «Es gab die besten Saucen, die ich in Frankreich je ass», erinnert er sich.
Wer einmal in Knogls vergleichsweise winzige Küche geschaut hat, weiss, wie ruhig trotz Hochdruck gearbeitet wird. Dazu passen die Eindrücke, die der Film vermittelt. Da werden Fische zerlegt – solche Grundlagen des Handwerk beherrschen heutzutage nicht einmal mehr alle Chefs –, dort Kräuter gehackt, Spargeln gerüstet. Daneben gehen Küche und Service Tisch für Tisch durch, mit Blick auf deklarierte Intoleranzen oder Abneigungen der Gäste. Und man fragt sich, wie da bloss der Überblick bewahrt wird bei all den Handgriffen, Abläufen und (Extra-)Wünschen (ohne elektronische Hilfe).
Kapern und Schokolade vermählen sich
Und ja, angerichtet wird per Pinzette, für viele das Symbol überkandidelter Kochkunst, im Grund aber einfach ein Präzisionswerkzeug im Dienst der Ästhetik. Nur am Rand lebt dieser Film jedoch vom Anblick perfekt arrangierter Teller, der auf Social-Media-Kanälen zu Food-Porn verkommt. Lieber vermittelt er die Faszination der bis ins Detail ausgeklügelten Zubereitung – und streift die oft Wochen, wenn nicht Monate dauernde Kreation von Rezepten. Da finden Schokolade und Kapern in einem Dessert zusammen, oder Nieren werden mit Passionsfrucht gepaart. Vater Michel findet das Ergebnis etwas zu scharf und schlägt vor, es mit dünn geschnittenem Spargel abzufedern.
Der 94-jährige Wiseman serviert sein Gericht im Kino nicht scharf angebraten, wählt eher die Niedergarmethode. Und als Nachspeise bleibt eine vielleicht tröstliche Erkenntnis: Auch in den besten Restaurants der Welt wird nur mit Wasser gekocht.
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heiderose (Donnerstag, 22 Februar 2024 17:22)
ein sehr interessanter Artikel einer Spitzengastronomie Familie Super!!!