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Über gesundes Essen

neue Erkenntnisse in der Ernährung

Rotes Fleisch und Würste sind laut Forschern doch nicht so ungesund

Die WHO stuft rotes Fleisch und Wurstwaren als ungesund und potenziell krebserregend ein. Doch Forscher haben die gleichen Daten ausgewertet und kommen nun auf ein anderes Resultat. Für die unterschiedliche Bewertung gibt es einige Gründe.

 

Rotes Fleisch gilt als potenziell krebserregend, aber das ist laut einer neuen Studie unbegründet. 

Die Erkenntnisse der Ernährungswissenschaften werden regelmässig hinterfragt. Dabei ist es schon fast an der Tagesordnung, dass zunächst als riskant eingestufte Lebensmittel gleichsam über Nacht den Stempel der Unbedenklichkeit erhalten. Eine solche Rehabilitation wurde unter anderem der Butter und dem Ei zuteil: Jahrzehntelang verpönt, nehmen sie in der Nahrungspyramide inzwischen wieder einen Platz in den unteren – hier besseren – Rängen ein. Ähnlich erging es anderen cholesterinreichen Speisen, etwa der Vollmilch und dem Käse, aber auch dem Kaffee.

 

Nun geht es um das rote Fleisch und die Wurst: Anders als gemeinhin zu hören und zu lesen ist, soll ein mässiger Konsum von rotem und verarbeitetem Fleisch weder die Sterblichkeit erhöhen noch Infarkten und Diabetes Vorschub leisten und auch die Entstehung von Krebs, wenn überhaupt, höchstens geringfügig begünstigen. Zu diesem Ergebnis kommt ein internationales Netzwerk von Forschern, unter ihnen Wissenschafter mehrerer Cochrane-Zentren, nach detaillierter Auswertung der bisherigen Ernährungsstudien.

 

Die Verlautbarungen des Gremiums, das erklärtermassen belastbare Daten für die Erstellung von Ernährungsleitlinien liefern will – und sich durchaus selbstbewusst Nutritional Recommendations Consortium, kurz Nutrirecs, nennt –, haben in der Fachwelt für einigen Ärger gesorgt. Denn, so der Tenor, die Publikationen verunsicherten die Öffentlichkeit und unterminierten damit die Bemühungen renommierter Institutionen, die Weltbevölkerung zu einem gesünderen Lebensstil zu bewegen. So hatte die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC), eine Einrichtung der WHO, unlängst dieselben Studien begutachtet, war allerdings zu einem anderen Schluss gelangt.

 

Laut Einschätzung der IARC kann es als gesichert gelten, dass ein regelmässiger Konsum von verarbeitetem Fleisch wie Schinken und Wurstwaren die Ausbildung von Darmkrebs und möglicherweise anderen bösartigen Tumorarten fördert. Bei rotem Fleisch – hierunter versteht man das Muskelfleisch von Rindern, Schweinen und anderen Säugetieren – fand die Agentur ebenfalls ein solches Signal, allerdings ein schwächeres. Die Einsichten der IARC waren unter anderem Grundlage für die gängige Empfehlung, den Verzehr von rotem Fleisch auf wöchentlich zwei bis drei Portionen zu begrenzen und verarbeitetes Fleisch ganz oder weitgehend vom Speiseplan zu streichen.

 

Angesichts solcher Widersprüche stellt sich die Frage, wie es möglich ist, dass weitgehend identische Daten so unterschiedlich interpretiert werden. Eine Erklärung für dieses Mysterium liefert Christian Wolfrum vom Department Gesundheitswissenschaften und Technologie der ETH Zürich: «Die Art und Weise, wie die Studien ausgewertet wurden, war sehr unterschiedlich. So haben die Experten der IARC die einzelnen Studien begutachtet und anschliessend ein Konsensdokument verfasst. Die Autoren der neuen Untersuchungen sind dagegen anders vorgegangen. Sie haben alle Studien gemeinsam analysiert», sagt er.

 

Aus wissenschaftlicher Sicht sei eine solche Metaanalyse mit gepoolten Daten der bessere Ansatz, wenn genügend Studien zur Verfügung stünden. Denn dabei bestehe die Möglichkeit, die Ergebnisse zu überprüfen, stellt Wolfrum klar. «Bei einer Metaanalyse kann im Grunde jeder nachrechnen, ob die Resultate stimmen. Das ist bei Einschätzungen von Expertengremien wie der IARC nicht der Fall», so der Gesundheitswissenschafter. Wie er zugleich einräumt, kann der Konsens von Fachleuten mitunter hilfreich sein – und zwar dann, wenn zu einer bestimmten Fragestellung zu wenige aussagekräftige Studien vorliegen.

 

Dass gerade Ernährungsstudien so häufig Anlass zu teilweise erbitterten Diskussionen liefern, hat allerdings noch einen weiteren Grund: Selbst die ausgetüfteltsten Analysemethoden können nicht Klarheit schaffen, wo es keine Klarheit gibt. So steht und fällt die Aussagekraft von wissenschaftlichen Studien mit der Qualität der Daten, auf denen sie gründen. Ernährungsstudien sind aber notorisch ungenau. Denn anders als Labortiere kann man menschliche Probanden schwerlich dazu bringen, über Monate oder auch Jahre hinweg strikte Ernährungsanweisungen zu befolgen. Wenig verlässlich sind zudem die mithilfe von Fragebögen ermittelten Angaben, was die Art und die Mengen der zugeführten Speisen anbelangt.

 

«Hinzu kommen unsere genetische Vielfalt, die unterschiedliche Zusammensetzung unserer Darmflora und die unzähligen äusseren Einflüsse, denen jeder Einzelne von uns ausgesetzt ist», sagt Sabine Rohrmann vom Institut für Epidemiologie und Biostatistik der Universität Zürich. Daher sei es auch so schwierig, den Einfluss einzelner Nahrungsbestandteile auf die Gesundheit zu ermitteln. Wie sie hinzufügt, dürfte die gesamte Ernährungsweise das Erkrankungsrisiko mehr beeinflussen als einzelne Nahrungsbestandteile. «Wer viel Fleisch isst, verzehrt zwangsläufig geringere Mengen anderer Lebensmittel», sagt die Wissenschafterin. Die ganze Wahrheit komme möglicherweise nie ans Licht. Dennoch halte sie es für plausibel, dass ein erhöhter Verzehr von rotem und verarbeitetem Fleisch das Krebsrisiko erhöhe. Denn etliche Untersuchungen auf zellulärer und molekularer Ebene deuteten in diese Richtung.

 

Die gleiche Ansicht vertritt auch Rudolf Kaaks, Leiter der Abteilung Epidemiologie von Krebserkrankungen am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg. Wie der Wissenschafter betont, hätten Meta-Analysen eines weiteren internationalen Fachgremiums, und zwar des World Cancer Research Fund (WCRF) Hinweise geliefert, dass ein hoher Verzehr von rotem und verarbeitetem Fleisch potenziell krebsfördend ist. Wenig zielführend sei es daher, wenn die Ergebnisse der neuen Untersuchung den Eindruck vermittelten, jeder könne bedenkenlos so viel Fleisch essen wie er wolle.

 

Umgekehrt lässt sich nicht von der Hand weisen, dass die möglichen Gesundheitsrisiken von Fleisch nicht immer wahrheitsgetreu vermittelt, sondern zum Teil erheblich übertrieben wurden. «Es ist richtig, dass die Aussagen der IARC in der Öffentlichkeit teilweise überspitzt oder auch missverständlich formuliert wurden», räumt Kaaks ein. Einige Äusserungen klangen in der Tat so, als ob der Verzehr von rotem Fleisch so gefährlich sei wie Rauchen. Das sei natürlich falsch. Laut Kaaks liegt die Wahrheit vermutlich in der Mitte. Auch Rohrmann geht davon aus, dass verarbeitetes und möglicherweise auch rotes Fleisch das Krebsrisiko etwas erhöht. Was beim Einzelnen nur geringe Auswirkungen haben dürfte, könnte auf Bevölkerungsebene indes erheblich ins Gewicht fallen.

Den Artikel habe ich der NZZ entnommen

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